Glaube, Liebe, Hoffnung sollen Grundsätze des Christentums sein. Ich glaube, das sind sie nicht. Ich liebe die Idee, dass sie schlicht die Essenz der Menschlichkeit sind und ich hoffe, dass jeder einzelne irgendwann im Leben so frei sein kann, dass Er oder Sie Ideologien, wie z.B. die irgendeiner starren religiösen Vorstellung, hinter sich lassen kann.

Wenn wir das Kreuz als Symbol der Verbindung aller Himmelsrichtungen verstehen, dann ist es ein Symbol mit dem ich einverstanden bin. Als Zeichen für das Leid der Kreuzigung ist es mir zu negativ. Das Herz bedarf keiner Erklärung und der Anker, der die Hoffnung sein kann, würde nirgendwo besser passen, als auf dieser Insel.

Ich habe mich heute mit einer jungen Frau aus Afghanistan unterhalten und sie hat mir wieder ganz klar gezeigt, dass es möglich ist einen wachen, freien Geist zu haben, auch wenn die Welt um dich herum versucht, dich in eine andere Richtung zu drängen. Sei mutig, sei du selbst und lass dich nicht unterkriegen, lass dich nicht verbiegen. Wenn es sein muss, flieh. Wenn es sein muss, kämpfe für ein besseres Leben, denn du hast es verdient glücklich zu sein, weil du verstanden hast, wer du bist und wer du sein kannst, wenn du du selbst sein darfst. Das ist meine Erkenntnis dieses Tages. Ein Tag, der noch lange nachwirken wird in meinen Gedanken. Der Tag an dem ich gesehen habe, wie man diese Menschen behandelt, wie man sie lagert. Der Tag an dem ich zum ersten Mal das Lager Karatepe auf Lesvos betreten habe. Glaube (an die eigene Kraft), Liebe (Für andere Menschen), Hoffnung (ohne einen Anlass zu brauchen). All das wird selten mehr gebraucht, als an einem solchen Ort.

Da ich keine eigenen Bilder machen konnte und eigentlich auch gar nicht machen wollte, bediene ich mich einiger Netzfunde. (AP Photo/Panagiotis Balaskas)

Auf dem Bild ist nur ein Teil des Komplexes zu erkennen, der zu der Zeit, als die Aufnahme gemacht wurde, scheinbar noch relativ neu gewesen sein muss. Man erkennt sehr gut den Eingangsbereich an der Straße (links im Bild), wo unter anderem die medizinische Versorgung stattfindet. Dort habe ich mich relativ lange aufgehalten. Im großen „Hospital Tent“ hatte ich Gelegenheit mit vielen der dort arbeitenden Menschen zu sprechen. Die Mitarbeiter der NGOs, aber auch viele der Geflüchteten haben mich tief beeindruckt. Ihre Offenheit mir gegenüber, die Freundlichkeit untereinander und der volle Einsatz für die Sache waren bewegend. Eigentlich hätte ich am liebsten direkt mitgearbeitet. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich wohl in Krankenhäusern. Vielleicht weil ich schon so viel Zeit dort verbracht habe, vielleicht weil das der Ort ist, wo man helfen kann. Viele sehen im Krankenhaus etwas negatives, weil sie dorthin gehen, wenn es ihnen schlecht geht. Für mich ist es immer der Ort, an dem man kämpft. Man kämpft für das Leben. Man kämpft, aber man kämpft unbewaffnet. Man kämpft mit unsichtbaren Feinden. Man kämpft für etwas, für jemanden. Der Kampf ist schwer, aber aufgegeben wird er nie.

In Deutschland sieht ein Krankenhaus so aus (Uniklinik Köln). Hier ist nur ein Zelt. Am Ende ist das egal. Sie erfüllen beide ihren Zweck.

Nachdem wir den forderen Teil des Camps, die „medical area“ gesehen hatten, führte mich Khalid noch weiter durch den restlichen Komplex und er erklärte mir vieles. Einen besseren Einblick hätte ich kaum bekommen können. Kurz mal ein paar Zahlen und Fakten bevor ich weiter von dem Rundgang berichte. Derzeit leben etwa 3500 Menschen im Camp (es waren zu Beginn 17.000!). Im Lager Arbeiten viele NGOs (rotes Kreuz, movement on the ground um.), UNHCR und die griechische Regierung, die vor allem die Corontestungen und die polizeiliche Überwachung übernimmt. Die Menschen dürfen das Lager nur sehr eingeschränkt verlassen (500 pro Tag), wer dagegen verstößt muss mit einer Strafe von 300 Euro rechnen. Die Insassen haben ein Zeitfenster von etwa 10 bis 17 Uhr, um sich außerhalb des Lagers zu bewegen, Sonntags dürfen Sie das Camp überhaupt nicht verlassen. Sanitäre Anlagen sind derzeit noch knapp, allerdings werden neue errichtet. Das Camp ist in verschiedene Bereiche unterteilt, wobei ich drei Bereiche als besonders schlimm empfunden habe. Das ist zum einen der Quarantänebereich, in dem Menschen auf engstem Raum, für alle sichtbar, 13 Tage ausharren müssen, bis sie einen anderen Platz im Lager zugewiesen bekommen. Dann ist da der Bereich für die alleinreisenden Männer, etwa 4 große Zelte, in denen sie dicht an dicht „gelagert“ werden. In diesem Bereich kommt es häufig zu Problemen. Dann der Bereich, der im hinteren Abschnitt des Lagers liegt, mit den Zelten, der stark an ein Slum oder eine Favela erinnert. Hier leben Familien, oft für lange Zeit.

Im Hintergrund sieht man das „Hospital Tent“, dass mittlerweile etwas besser ausgebaut wurde.

Der „rote Bereich“ das Zeltlager für Familien.

Es gibt auch einen großen Bereich mit Containern, die zum Teil noch aus Moria stammen und an denen man noch Spuren des Brandes erkennen kann. Diese sind zwar deutlich besser, als die Zelte, aber eben nur in begrenzter Zahl vorhanden. Khalid erzählte mir, dass die Nähe zum Meer, das ungesichert das Camp umgibt, besonders zu Anfang ein Problem war, weil immer wieder Kinder hineingefallen sind. Erstaunlicherweise hat es bisher keinen Fall gegeben, wo eines ertrunken ist, Gott sei Dank. Es ist insgesamt schwierig wiederzugeben, wie man sich fühlt, wenn man durch dieses Lager geht, aber es ist vor allem eine Mischung aus Verwunderung, Hilflosigkeit und Trauer. Möglicherweise war der Drang sofort im Krankenhaus zu arbeiten deshalb so stark. Man möchte etwas tun und nicht untätig zuschauen. Was mich besonders traurig gemacht hat, war die Tatsache, dass es für die Menschen dort kaum Ablenkung gibt. Orte der Entspannung gibt es kaum. Die Insassen sind mit ihren Problemen meist allein, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Ursula und ich haben uns einmal darüber unterhalten, was es wohl bedeutet ein solches Leben zu führen. Vermutlich ist es so, einmal Flüchtling, immer Flüchtling. Es zieht in dein Herz. Du selbst bist dauernd auf dem Weg, kommst nirgendwo an und alle Begenungen sind flüchtig, die schlechten, zum Glück, aber auch die guten. Bist du danach noch in der Lage eine dauerhafte Beziehung aufzubauen? Bist du in der Lage anzukommen? Wahrscheinlich wird es schwer sein, wahrscheinlich wird das dauern. Khalid hat gesagt, du realisierst erst, was im Lager passiert, wenn du da raus bist. Solange du dort bist musst du kämpfen, du hast keine Zeit für Zweifel, du hast kaum Zeit, zu spüren, was deine Seele braucht, wie du dir etwas Gutes tun kannst.

1-2 Stunden am Tag gibt es Strom. Das Wasser muss oft über das Gelände zu den Unterkünften geschleppt werden.

Da ich nichts weiter tun konnte, als zuhören, was man mir erzählt und aufnehmen, was ich sehe, habe ich jeden der Mitarbeiter gefragt, ob sie auch mal an sich denken, eine Pause machen, etwas entspannen. Ich bekam fast immer die selbe Antwort, nein, dafür habe ich keine Zeit. Mohammed, der Koordinator im „Hospital Tent“ war sehr nett zu mir und hat mir angeboten mir alles zu zeigen. Ständig klingelte sein Telefon, er sagte, selbst wenn er isst, das Ding sei nie still, es gebe immer etwas zu tun. Ich kann kaum in Worte fassen, wie viel Respekt ich vor der Leistung dieser Menschen habe und wie sehr ich mir wünschen würde, etwas von der Last von ihren Schultern nehmen zu können. Im Moment ist das Lager nicht voll, aber man erzählte mir von Zeiten, in denen man alle Insassen (7000 Anfang des Jahres) tgl. auf Corona abstreichen musste. Ich weiß, wie es ist 20 Abstriche am Tag zu machen, aber 7000 ist für mich kaum vorstellbar.

Im Sommer kämpfen die Menschen mit der Hitze, im Winter kann es zu Überflutungen kommen.

Die Zukunft des Lagers ist ungewiss, wie mir Evi und Kathie erzählt haben. Man baut derzeit ein „geschlossenes Lager“, angeblich für mehr Sicherheit der geflüchteten. Wie sehr die Sicherheit der Menschen den Behörden am Herzen liegt, sieht man an Zwischenfällen, bei denen Menschen, die man auf See eingesammelt hat, einfach zurück ins Meer geschmissen wurden. Ein Fall von zwei afrikanischen Flüchtlingen war besonders dramatisch. Man holte sie auf ein Boot und legte ihnen Handfesseln an. Nach einiger Zeit schmiss man sie gefesselt ins Meer zurück und sie ertranken. Teile der Polizei sind rassistisch und wenn diese nicht kontrolliert werden passiert sowas. Pushbacks sind an der Tagesordnung. Wie es sich verhält, wenn wieder mehr Menschen kommen, wird man sehen, aber unter Kontrolle ist die Situation noch lange nicht.

https://www.derstandard.at/story/2000124077027/griechenland-plant-neues-lager-auf-lesbos

Einzig die Menschen, die dort täglich helfen Kathie, Evi, Khalid, Jamal, Ahmed, Mohammed, Zeki, Sophie und die vielen anderen lassen mich hoffen. Sie kämpfen rund um die Uhr und ohne sie würde die Menschlichkeit hier sterben, würde zurück ins Meer geschmissen und nie wieder auftauchen, dessen bin ich sicher. Ich bin froh und dankbar diese Menschen getroffen zu haben und hoffe, dass ich irgendetwas tun kann, um Ihnen zu helfen. Wenn ihr helfen wollt, spendet an „Hoffnung Leben e.V.“

Ich bin dankbar und traurig zugleich, aber nun erst recht überzeugt, man kann etwas tun, ich will etwas tun.

Ich werde mich weiter mit dem Thema beschäftigen und sehen, was man tun kann. Hier auf www.mmeichallenge.de werde ich euch auf dem Laufenden halten und auch weiter um Unterstützung bitten, denn die ist bitter nötig. Unten noch der Link zum Video, was ich kurz nach dem Besuch im Lager gemacht habe.

https://www.instagram.com/tv/CT7L7TBjbfw/?utm_medium=copy_link

Ich habe im Camp übrigens den Rest der Murmeln gefunden. Sie lagen traurigerweise alle im Dreck und sie aufzusammeln war unmöglich. Ich bewahre daher nur den einen Gedanken auf und für mich ist es der: „Ich habe Hoffnung, egal was kommt.“

Bis demnächst, passt auf euch auf und vergesst nicht die Menschlichkeit, sie droht zu ertrinken, hier beinahe jeden Tag. Ihr könnt ein Anker sein, wenn ihr wollt. Ihr müsst nur hinschauen.

Liebe Grüße

Mo