Quer durch die Welt.

Pflegt die Pflege!

Mein erstes Praktikum in der Pflege habe ich 2003 in unserem örtlichen Krankenhaus gemacht. Ich war dort drei Wochen auf der Chirurgie im Rahmen eines Schulpraktikums eingesetzt. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, wie es war, das erste Mal wirklich zu arbeiten. Es war sehr anstrengend, aber es war vor allem aufregend. Das Gefühl Kranken helfen zu können, also etwas sehr sinnvolles zu tun, hat aber vieles der Anstrengung wieder gemildert. Nach dem Frühdienst qualmten meine Socken und nach den drei Wochen hatte ich einen bösen Fußpilz, weil ich als jugendlicher noch nicht ganz so fit in Sachen Eigenhygiene war. Ich konnte mich selbst zwar noch nicht richtig pflegen, aber ich hatte nun gesehen, wie erfüllend es sein kann, wenn man anderen helfen kann, wie erfüllend es ist zu pflegen. Außerdem fand ich die Medizin spannend und wollte so viel wie möglich wissen über den Körper, über die Anatomie und über Krankheiten. Ich hatte aber auch Angst, weil der Beruf mit vielen, vor allem seelischen, Belastungen zu tun hatte. Während meines ersten Praktikums starb ein Mann an Bauchspeicheldrüsenkrebs und die Art, wie dieser Krebs tötet, ist sehr grausam, weil es ein schneller, aber doch oft qualvoller Weg ist, den diese Menschen noch zu gehen haben bevor sie Ruhe finden. Es war schwer das mit anzusehen. Ich habe in dieser Zeit viel darüber nachgedacht, wie wichtig es für diese Menschen ist, dass jemand bei ihnen ist in dieser Phase. Ich habe verstanden wie wichtig Pflege ist für jemanden, der hilflos ist. Ich habe verstanden, dass es Menschen braucht, die bereit sind etwas von ihrer guten Zeit zu geben, um anderen durch ihre schlechte zu helfen. Metaphorisch betrachtet ist Pflege eigentlich nichts anderes, als eine Infusion von guter Zeit für einen Menschen, dessen Zeit schlecht geworden ist. So gesehen ist Pflege auch immer ein Opfer, das erbracht werden muss. Das gilt sicher für jede Dienstleistung, aber in der Pflege umfassender, als in vielen anderen Berufen.

Sitzwachenselfie um drei Uhr morgens…

Grade während meiner Zeit als Sitzwache in der Uniklinik hatte ich viel Zeit meine bisherige Erfahrung in der Pflege (immerhin gut 13 Jahre) und den IST- Zustand der Pflege heute zu vergleichen. Als Sitzwache ist man dafür zuständig, dass ein schwieriger oder kritischer Patient gut durch den Dienst kommt. Man überwacht Vitalfunktionen, gibt Medikamente oder passt auf, dass ein verwirrter Patient nicht davonläuft. Mit viel Glück schlafen die meisten in der Nacht und man hat etwas Zeit nachzudenken oder zu lesen. Das habe ich etwa zwei Jahre gemacht. Ich habe die Nähe zum Beruf, aber auch die Distanz sehr genossen. Man war nicht raus, aber auch nicht mehr mittendrin. Mittendrin sein bedeutet in der Krankenpflege einen enormen seelischen und körperlichen Druck. Die drei Schichten, die je nach Station sehr oft wechselnd geregelt sind, zwingen dich zur Rastlosigkeit. Es ist ein Leben ohne Rhythmus. Das beinhaltet natürlich auch Flexibilität, aber es bedeutet für den Körper Stress. Dann kommt seelische Belastung in Form kranker, sterbender Menschen hinzu, die dich immer wieder fordern. Oft fordern kranke Menschen mehr, als sie selbst geben könnten und auch mehr, als die Pflege in der Lage ist ihnen zu geben. Die Anforderungen, die an die Pflege gestellt werden hören aber bei den kranken Menschen nicht auf. Auch Angehörige und Arbeitgeber oder andere Berufsgruppen, wie Ärzte, Physio- oder Ergotherapeuten stellen täglich Anforderungen an die Pflege. Pflege ist deshalb eine Herausforderung, weil der Anspruch enorm hoch, aber die Gegenleistung oft gering ist. Es ist selten echte Wertschätzung zu spüren. Weder von Arbeitgebern, noch von Politik oder Gesellschaft erfährt der Berufsstand der Pflege in Deutschland ausreichend Anerkennung. 

„Es ist kein Profit zu Lasten der Pflege mehr möglich.“ sagt Jens Spahn in einer „Kritik“ an den Konzernen hinter der Pflege in Deutschland. „Die Caritas muss schwarze Zahlen schreiben.“ sagt er ebenfalls. Ja, die Caritas muss schwarze Zahlen schreiben. Aber ähnlich einer Bank hat hier der Staat im Krisenfall seinen Beitrag zu leisten, denn es ist nicht nur katastrophal, wenn wir kein Geld mehr haben, es ist auch katastrophal, wenn wegen des Geldes jährlich tausende Menschen sterben müssen. Ein schlechtes Gesundheitssystem bedeutet nämlich logischerweise auch mehr Todesfälle. Es gibt Gewinner und Verlierer in diesem System. Gewinner sind offensichtlich die Profiteure, Verlierer offensichtlich die Patienten, Angehörigen und Pflegenden und das könnten wir alle irgendwann einmal sein. Es gab einmal den Versuch die Pflege zuhause wieder mehr zu fördern. Das klingt gut, wenn das nicht bedeuten würde, dass man dann die Institutionen weniger Unterstützt. Wir bräuchten dringend Modernisierungen in der Pflege. Wir bräuchten dringend mehr Selbstbestimmung des Berufsstands Pflege. Wir bräuchten dringend mehr Menschen in der Pflege. Wir bräuchten dringend wieder mehr Menschlichkeit in der Pflege. Pflege ist Teamarbeit. Wie kann es dann sein, dass es Dienste gibt, die ein Pfleger oder eine Schwester allein absolvieren muss? Wie kann es sein, dass für 26 Patienten manchmal nur eine Pflegekraft kommt.

„Die privaten Krankenhäuser sind Treiber dieser Entwicklung. Auf 21,1 Prozent aller Normalstationen versorgt eine Pflegefachkraft durchschnittlich 34,5 Patientinnen und Patienten. In öffentlichen Krankenhäusern sind es 15,9 Prozent aller Stationen mit durchschnittlich 35,0 Kranken.“

„Wo zu wenig Personal eingesetzt ist, können die Pflegefachkräfte nicht alle Aufgaben in der vorhandenen Zeit und erforderlichen Qualität erledigen. Die Beschäftigten müssen entscheiden, welche Leistungen sie ihren Patientinnen und Patienten vorenthalten. Sie sind gezwungen, ihr Berufsethos zu verletzen. »Ich kann oft nicht mehr in den Spiegel schauen,« beschreibt eine Kollegin von einer Internistischen Station ihre innere Situation. Aber auch für die Patientinnen und Patienten hat die Personalknappheit ernste Folgen. In der Literatur wird das als »implizite Rationierung« beschrieben.“

https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/mehr-personal/++co++abc7d1a2-c16e-11e6-9424-525400ed87ba

Ich habe selbst mal so gearbeitet. Etwa ein Jahr lang habe ich auf einer Station Nachts alleine 34 Patienten betreut. Einige der Patienten mussten überwacht werden, weil sie operiert worden sind, andere, weil sie vielleicht grade eine kritische Krankheitsphase durchmachten. Alleine einen, zwei oder auch drei Patienten zu überwachen und 30 andere zu betreuen, mag möglich sein, aber sollten es vier sein oder einer der anderen 29 ernstere Probleme bekommen, wird es sofort kritisch. Das weiß man und man lässt es trotzdem zu. Es müsste schlichtweg verboten sein, dass eine Nachtschwester so viele Patienten betreuen muss, weil es unzumutbar und gefährlich ist. Auch das Thema Stationssekretär ist mir wichtig. Dieser Beruf sollte nicht zu Lasten des Pflegeschlüssels gehen. So ein Stationssekretär, bzw. eine Hilfe für die gesamte Station, erfüllt nicht den Zweck einer pflegenden Kraft, sondern sie ist organisatorisch tätig und UNBEDINGT notwendig auf ALLEN Stationen. Es braucht vernünftige Organisation und die Pflege sollte damit nicht auch noch belastet werden.

Die Zeit heilt alle Wunden. Das könnte stimmen, aber für die Pflege gilt: Zeit ist Geld! Also mach hinne! Eigentlich ist der Pflegeberuf heute vor allem von Hektik geprägt. Immer muss alles schnell gehen. Das ist im Notfall sicher richtig, aber es ist oft die Zeit nach dem Notfall, in der echte Pflege notwendig wird. Pflege heißt auch Betreuung und um die zu gewährleisten braucht es Personal und Zeit und beides fehlt uns in der Pflege oft. Das Missverhältnis von Verantwortungsbewusstsein und eigenem Handeln, „weil es nicht anders geht.“, hinterlässt oft ein schlechtes Gefühl, obwohl es außerhalb des eigenen Verantwortungsbereiches liegt, der weiß Gott schon groß genug ist. Die Ambivalenz ist vorhersehbar und deshalb sind die wenigsten so idealistisch eingestellt, dass sie sich trotzdem dafür entscheiden, den Beruf zu machen. Noch ist die Attraktivität nicht gestiegen, aber durch Corona ist die Notwendigkeit etwas in diesem Bereich zu verändern noch einmal viel, viel deutlicher geworden und drängender denn je! Wir müssen etwas tun, weil die Überlastung nicht an Zahlen gekoppelt ist, sondern von Menschen abhängt, die seit fast zwei Jahren alles geben, obwohl sie schon vorher an der Grenze waren.

 

2 Kommentare

  1. Frank Wilhelm

    Kammer und Gewerkschaft 💪

    • Moethemei

      Ja, das wäre das mindeste, aber da muss mehr kommen, das ist ja eigentlich erstmal ein Standart, den wir einfach noch nicht haben. Wir müssten auch mal über kirchliche Träger diskutieren.

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