Quer durch die Welt.

Niemals geht man so ganz…

Puh, also ein Resümee der Reise an diesem Punkt zu ziehen ist irgendwie unmöglich. Ich habe es zwar sehr genossen unterwegs zu sein und Dinge zu sehen und zu erleben, die man vom Sofa aus nicht erleben kann, aber es war auch viel schwieriges mit dabei. Besonders in meiner Zeit „auf der Insel“ habe ich ein sehr zwiegespaltenes Gefühlsleben entwickelt. Auch der Umgang damit, ist zweigeteilt. Zum einen Dankbarkeit und Freude über Begegnungen und Erfahrungen, zum anderen Niedergeschlagenheit und Trauer über das Gesehene und Berichtete. Fangen wir aber mit der Schönheit dieses Ortes an, um beim lesen nicht völlig in eine Depression zu rutschen.

Dank Ursula habe ich noch ein wenig der Schönheit der Insel sehen können, die vielleicht untergegangen  wäre, wenn man sich vor allem mit dem Thema Migration beschäftigt. Es ist einfach etwas anderes, ob man einen Urlaub auf einer Insel macht oder man eine Reise zu einer Insel macht, auf der sich ein Lager befindet in dem Menschen leben. 2022 wird hier ein „geschlossenes Lager“ errichtete. Auf Samos ist es seit Montag in Betrieb. Bei Gesprächen fällt oft der Begriff „Conzentrationcamp“ ich benutze bewusst nicht den deutschen Begriff, denn sicher ist die Situation nicht wie 1945, aber viele Organisationen kritisieren schon jetzt die drohende „Entmenschlichung“. In so stark gesicherten Lagern wird es Sadismus und Machtmissbrauch gegenüber Menschen mit sehr beschränkten Rechten geben und die Außensicht, durch Beispielsweise NGOs, wird sehr begrenzt sein. Die Zweifel sind also sehr berechtigt. Es sind mindestens Gefängnisse. Nun spricht man von Illegalität. Ich wüsste gerne, wie Menschen, die verfolgt werden, die bedroht werden oder einfach Hunger leiden, in Armut leben, in der Lage sein sollen, aus der Ferne, Anträge auszufüllen, Voraussetzungen zu erfüllen, damit sie „legal“ als Fachkräfte einreisen dürfen? Wie? Sie sind oft jung und aufnahmefähig, eine Chance ist das, was sie brauchen.

A view of a newly inaugurated closed-type migrant camp on the island of Samos, Greece, September 18, 2021. Picture taken with a drone. REUTERS/Alkis Konstantinidis

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/samos-fluechtlingslager-107.html

https://www.stern.de/politik/ausland/griechenland-brand-im-alten-fluechtlingslager-von-samos-30756646.html

Das Lager ist isoliert und wirklich extrem streng bewacht. In einem Artikel war von einem „freiwilligen“ Umzug dahin die Rede, oft bedeutete das, entweder man geht dort hin oder man wird jeglicher Möglichkeiten beraubt, Freiwilligkeit ist also eine Fehlanzeige. Hinzu kommt, dass seltsamerweise grade gestern wieder ein Feuer in einem Lager auf Samos gewütet hat. Feuer scheint ein allgegenwärtiges Problem zu sein, dass aber durchaus auch einen Nutzen für die Regierung hat, da darf man sich nichts vormachen. Es ist einfacher Menschen aus abgebrannten Lagern in neue zu treiben. Die 5 geplanten Lager dieser Art und die Pushbacks, sowie der Ausbau von Frontex sprechen eine gemeinsame Sprache. Öffentlich spricht man diese Sprache nicht, weil sie unpopulär sein könnte, aber ich verlasse die Insel mit sehr gemischten Gefühlen. Es sieht sehr danach aus, als schaffe man hier Strukturen, die letztlich relativ weit entfernt sind von dem, was wir „Menschenrechte“ nennen. Die „Wertegemeinschaft“ tritt die eigenen Werte öfter mit Füßen, als ich dachte. Ich würde es verstehen, wenn ich nicht wüsste, dass viele der Menschen, die kommen möchten, wirklich eine Bereicherung wären, keine Islamisten. Allein die 5 mit denen ich mehr oder weniger zusamnengewohnt habe, wären allesamt gut für den Arbeitsmarkt. Leider muss man ja ausschließlich so argumentieren. Ein Gruß an den alles beherrschenden Kapitalismus. Einer von den fünf spricht sogar deutsch, er möchte aber nicht mehr kommen. Er wird versuchen in Griechenland zu bleiben. Möglich, dass sie bald alle zurückgeschickt werden oder noch Jahre in Lagern ausharren, in dieser Situation gibt es keine Sicherheit und Perspektiven sind wackelig.

Noch gibt es Orte, wie „One happy Family“, wo geflüchtete sinnvoll ihre Wartezeit nutzen können.

Ich habe gestern „One happy Family“ besucht. Ein Ort in der Nähe des Lagers, wo Kinder betreut, Unterricht gegeben oder Dinge repariert werden können. Hier kann Kleidung genäht und erworben werden oder die Menschen können einen Kaffee zusammen trinken. So ein Ort ist wichtig, um sich wie ein Mensch zu fühlen, aber ob so ein Ort im nächsten Jahr neben dem „geschlossenen Lager“ noch existieren kann, ist fraglich. Es wäre natürlich schön, wenn einfach kein Bedarf mehr wäre, aber ich vermute eher, es wird einfach keine Erlaubnis mehr geben.

Heute bin ich wirklich nicht in der Lage meine Gefühle auszudrücken. Irgendwie ist vieles Grau und undurchsichtig. Eine gewisse Trübe, Unklarheit beherrscht mich und ich kann sie kaum abschütteln.

Ich werde mich in den kommenden Tagen bemühen alles aufzuarbeiten, mehr zu schreiben und alles etwas klarer zu machen. Ich danke auf jeden Fall allen  für die vielen Einblicke, auch wenn sie am Ende oft belasten. Ich bin froh, dass es eine ruhige Zeit im Lager war, auch wenn mir berichtete wurde, dass es im Nachtdienst wieder einen „Fight“ im Camp gegeben hat. Interkulturell bleibt einfach viel zu tun. Irgendjemand muss das tun und am besten tut man es besonnen und wenn möglich auch mit Einfühlungsvermögen. Ob es dieses Einfühlungsvermögen in den „Conzentrationcamps“ geben wird, das wage ich zu bezweifeln. Aber wie immer, ich habe noch ein bisschen Hoffnung, denn ohne geht es wirklich nicht.

Bis die Tage ihr lieben! Ich habe noch viel zu erzählen, aber das muss erstmal verarbeitet werden, will auch keinen Quatsch erzählen.

Liebe Grüße

Mo

1 Kommentar

  1. Marga

    Lieber Moritz,
    Hier meldet sich nochmal Marga – ich schrieb schon mal einen Kommentar. Da ich im August selbst im MVI (gemeinsam bei One happy family) gearbeitet habe, berührt mich alles sehr was du schreibst.
    Ich bin natürlich viel älter als Du, aber intensiv in Kontakt mit vielen jüngeren Menschen, deshalb schreibe ich.
    Ich war vor einigen Jahren (2017) mit einer NGO in Kurdistan. Insgesamt 2 Wochen. Dort gibt es ausserhalb der Stadt Erbil ( hoffentlich täuscht nicht meine Erinnerung und es war eine andere Stadt…) 2 riesige Flüchtlingslager insgesamt 20 000 Menschen oder mehr. In diesen (bewachten) Lagern gibt es eine Klinik, mehrere Schulen, Kindergärten, kleine Läden, Zentren (aus Stein gebaute Häuser) in denen sich Jugendliche treffen, auch Duschen usw.
    Die Menschen leben ausschließlich in Zelten. Soviel ich sehen konnte, gab es sowas wie eine „Selbstverwaltung“, d.h. die Lager sorgten selbst für Sauberkeit auf den Straßen in den Lagern.
    Wir NGOs hatten eine Aufgabe: Fortbildung von Lehrern : was ist Trauma? Und den halben Tag besuchten wir die Kitas, ich als Therapeutin organisierte źsammen mit anderen aus unserem Team Gespräche mit Eltern und den Kindern.
    Wir lernten einen jüngeren Arzt kennen, der dabei ist, eine Ausbildung aufzubauen, in der Psychologie gelehrt werden soll.
    Ich weiss den aktuellen Stand nicht.
    Die Menschen dort leiden. Natürlich. Sie haben Verfolgung und Terror durch die IS erlebt und flohen.
    Wohin sollen im Land Kurdistan Hunderte und Tausende Flüchtlinge?
    Die Idee, dass das Leiden der Menschen möglichst schnell beendet werden soll – sprich : Wohnungen, Lebensstandard und möglichst Arbeit und für Kinder, Kranke und Alte möglichst schnell alles „gut“ geregelt werden soll, ist unmöglich.
    Einfach unmöglich.
    Ich habe das Camp nicht als „Konzentrationslager“ wahrgenommen. Der Terror der IS ist der Ausgangspunkt von Leid und Gewalt. NICHT das Aufnahmeland zu dem die Menschen flüchten.
    Das Aufnahmeland steht vor extremen
    Bedingungen und es braucht internationale Hilfe. Wie überall zuerst die UNHCR und dann viele andere.
    Krieg ist immer eine extreme Bedingung.
    Und die Taliban verursachen eine kriegsähnliche Situation sowie andere diktatorische Systeme.
    Die Menschen fühlen sich bedroht und sind es auch und fliehen.
    In grosser Zahl.
    Aufnahmeländer sind meist zuerst Nachbarländer.
    Wenn Sie aufgrund eigener wirtschaftlicher Probleme nicht in der Lage sind ausreichend zu helfen, werden „reiche Industrieländer“ angefragt.
    Du kennst ja die Situation.
    „Lager als Notaufnahme“ sind immer extrem, absolut extrem und traumatisierten.
    Wenn das verhindert werden soll – und natürlich sollen Menschen nicht aus der Heimat fliehen müssen- dann muss IS verhindert werden und das Regiem der Taliban und das Regiem anderer Diktatoren.
    Das sind die Ursachen. Davor fliehen die Menschen.
    Solange diese Ursachen bestehen, gibt es Flucht und Vertreibung.
    Und gibt es Not ohne Ende…
    Denn es ist unmöglich Hunderte und Tausende von vertriebenen und geflüchteten Menschen sehr gute neue Bedingungen zu schaffen.
    Das braucht unendlich Zeit und Verhandlungen und Möglichkeiten und politisches Handeln.
    Und natürlich führt das zu extremen Stress bei den Menschen.
    In Kurdistan scheint mir – damals – der Versuch eines „Lagers oder einer Zeltstadt“ irgendwie „geglückt“. Ich sage : irgendwie, denn ich weiss im Moment nichts über die aktuelle Entwicklung der Lager.
    Die Aufnahmeländer anzuklagen, dass sie nicht genug helfen oder falsche Entscheidungen treffen, mag eine Möglichkeit des politischen Handelns sein, die andere wäre, die ebenso extremen (vielschichtigen) Begrenztheiten der reicheren Länder einfach nur zu sehen, ohne sofort in Ablehnung und Wut zu geraten. Aufzeigen, Informieren, Verhandeln, wachrütteln…Ja! Auf jeden Fall.
    Es gibt viele kriegsähnliche Zustände in Ländern, viele und aktuell. Und überall dort leiden die Menschen und – wenn sie können – wollen sie weg.
    Freiheit, Wohlstand, Bildung ist ein erstrebenswert Gut – jedenfalls leben wir in den „reichen Industrieländern“ aus dieser Motivation heraus.
    Und die Menschen, „die Flüchtlinge“ wollen das auch.
    Wie dD möglich machen?
    Was du erlebst, Moritz, ist, dass man Lager baut um sie wenigstens mit den Grundbedürfnissen zu versorgen:
    Wasser, Nahrung, Dach über dem Kopf und eine Möglichkeit der Gesundheitssorge (Ärzte).
    Mehr nicht und das auch nur rudimentär oder mehr schlecht als recht wie auf Lesbos oder Samos usw.
    Die Zahl der Flüchtlinge wird immer mehr (das ist Tatsache weil politische Regieme nicht mehr die Menschen nur noch abschotten können im Zeitalter der Digitalisierung und der Freiteitswunsch wird durch Flucht realisiert).
    Die wachsende Zahl bedroht wiederum Menschen in sozusagen „friedlichen“ Ländern und führt zu Gewalt und Ausgrenzung.
    Was können wir tun?
    Du bist nach Lesbos gefahren.
    Ich habe im MVI geholfen.
    Das ist was zählt.
    Viele, viele unterstützen. Und so kommen wir uns nahe – die „Flüchtlinge“ und wir.
    Sei nicht deprimiert. Die Kraft, die dich unterwegs sein hat lassen ist entscheidend.
    Marga

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