Quer durch die Welt.

Nichts Weltbewegendes…

Heute ist der letzte Tag der ursprünglichen Red.Line.Challenge. Ich bin zurück in Deutschland, zurück in Köln, zurück in meinem Leben.

Ich bin schon relativ viel gereist. Ich war in vielen Städten, wie Paris, Rom oder Istanbul und ich habe schon zwei große Wanderungen durch Spanien hinter mir. Bei kaum einer von diesen Reisen hatte ich das Gefühl, dass sie so viel verändert haben, wie diese Reise es getan hat. Als ich in Istanbul war, ist am ersten Morgen in der Stadt in der Nähe meines Hotels eine Bombe explodiert, es starben 12 Menschen. Am Abend zuvor, als ich ankam,  hatte das Nachbarhaus gebrannt und ich habe mir angeschaut, wie man die Menschen aus den oberen Stockwerken gerettet hat. Trotzdem habe ich mich davon nicht abhalten lassen Istanbul zu entdecken. Trotzdem war die Zeit dort am Ende eine positive. Der Brand und die Explosion haben mich erschüttert und verunsichert und sie haben aus meinen ersten Tagen in der Stadt auch Tage der Angst gemacht, aber mir war nichts passiert und ich wusste, dass ich das Land jederzeit wieder verlassen kann, wenn ich es möchte. Diese Gewissheit begleitet mich und auch die meisten, die das hier lesen, auf allen unseren Reisen. Wenn es schwierig wird haben wir dank unserer Herkunft viele Hebel, die wir in Bewegung setzen können, um aus einer schwierigen Situation zu fliehen. Viele Menschen auf der Welt, genauer 70 Millionen andere, die auf der Flucht sind, haben keinen einzige dieser Hebel. Diese Menschen sind auf sich allein gestellt. Diese Menschen nennen wir „Flüchtlinge“.

Da sind wir wieder. Bikel und ich sind gut in der Heimat angekommen.

Manche in Deutschland sprechen von einer Islamisierung Deutschlands oder von einem Bevölkerungsaustausch oder anderen Schwachsinnigkeiten. Ich frage mich, ob diese Menschen sehen können, dass unabhängig von Religion, Staat und Kultur überall auf der Welt Menschen auf der Flucht sind. In Süd- und Mittelamerika passiert genau das gleiche seit Jahrzehnten. Auch dort strömen Menschen von Süd nach Nord.

Diese Menschen sind keine Muslime, diese Menschen wurden nicht „geschickt“, diese Menschen sind schlicht und einfach unglücklich mit dem Leben das zu führen sie gezwungen sind. Migrationsbewegungen können in meinen Augen kaum illegal sein, weil sie in der Menschheitsgeschichte unzählige Male vorgekommen sind und vorkommen werden. Man kann es nennen, wie man möchte, ob Völkerwanderung, Migrationsbewegungen oder wie auch immer. Dieses Phänomen ist nicht neu und war es auch nie. Neu für uns in Europa war die Tatsache, dass uns Konflikte aus weiterer Entfernung plötzlich so direkt betroffen haben. Die Menschen sind oft nicht in der Lage den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Globalisierung herzustellen und die daraus resultierenden Folgen abzuleiten. Wir leben zwar in verschiedenen Ländern auf der Welt, oft tausende Kilometer voneinander entfernt, aber wir kommunizieren täglich, wir treiben Handel, tauschen uns aus und bekriegen uns auch. Und alles, was wir tun, wird mittlerweile von irgendeinem Medium begleitet. Ein Handy, eine Kamera.  ist immer dabei, fast überall auf der Welt, außer vielleicht auf Sentinel Island. Ob du in Somalia, Kenia, Eritrea oder in Großbritannien lebst, es gibt Möglichkeiten direkt über das Internet miteinander zu kommunizieren. Natürlich gibt es noch Ausnahmen, wie China, Nordkorea oder Afghanistan, aber ich vermute selbst dort wird es Schlupflöcher geben, durch die die Informationen über das Außen nach innen gelangen. Wir wissen voneinander, wie es aussieht in den anderen Ländern, wie die Verhältnisse sind wir können davon lesen, uns Bilder anschauen, wir hören von Weltreisenden, wir begegnen uns vielleicht irgendwo auf der Welt „Teilen“ diese Begegnung dann im Internet. Die Strukturen sind durchlässiger geworden, die Menschen pflegen eine neue Form der Kommunikation. Aber wie lange schon? 30 Jahre? 20 vielleicht? Gemessen daran, was für Veränderungen das mit sich bringt ist das nichts. Ich hatte noch eine handyfreie Kindheit, aber wer kann das nach dem Jahrtausend Wechsel noch von sich behaupten?

Ob auf dem Himalaya oder unter dem Kilimanjaro, überall haben Menschen mittlerweile Mobiltelefone.

Die Menschen auf der ganzen Welt bekommen mit, dass wir hier Supermärkte an jeder Ecke haben, dass wir schöne Autos fahren, mit Computern arbeiten, das wir hier Geld verdienen können. Gutes Geld, mit dem wir dann viele Dinge kaufen können. Sie bekommen mit, dass wir sicher und zufrieden leben, Freizeit haben für Kunst und Musik oder Fußball und Playstation. Andere Menschen, in anderen Ländern, kennen dieses Leben nicht aus Erfahrung. Sie laufen Kilometer weit zur nächsten Schule, fahren in alten Autos, wenn sie überhaupt eines besitzen. Sie arbeiten auf Feldern für die Cornflakes in unseren Schüsseln, arbeiten in Minen für die Diamanten an unseren Fingern, pflücken Rosen für die Vasen in unseren Wohnzimmern. Uns fehlt manchmal völlig das Bewusstsein für die Herkunft der Dinge, die wir Besitzen. „Ich habe dafür gearbeitet.“ heißt es oft. Das ich nicht lache, kann ich da nur sagen. Natürlich, man hat sich das Geld redlich verdient, das man da ausgibt, aber für die Dinge gearbeitet hat man in diesem Sinne nicht. Kaum eines der Teile, die ich Besitze, schon gar nicht mein Laptop oder mein Smartphone, habe ich mit meinen eigenen Händen hergestellt oder war an der Herstellung beteiligt. Oft interessiert uns die Herstellung auch kaum. Wir nehmen selbstverständlich hin, dass alles, immer verfügbar ist. 24/7 Shopping, Urlaub, Auto fahren. Das alles ist selbstverständlich für uns, aber wir fragen selten, fast nie, ob das eine grundlegende Selbstverständlichkeit ist oder einfach sehr viel Glück, das wir im Leben hatten. Vermutlich argumentiert ein Veganer ähnlich, wenn es um die Tierhaltung und den Fleischverzehr geht. Wir beschäftigen uns kaum mit dem Wie und dem Woher, uns interessiert nur das Resultat und der Preis. Der Preis für eine solche Einstellung könnte hoch sein. Höher, als wir uns das in unserer sicheren Heimat jetzt vorstellen können. Wir bezahlen diesen Preis aber auch nicht.

Diese Menschen zahlen einen doppelten Preis. Sie arbeiten für fast nichts und können davon nicht einmal etwas zu essen bekommen.

Oft ist unser heutiger Reichtum das Resultat schrecklicher Taten. Er ist ein Resultat von Kriegen und Morden, von Eroberung und Ausbeutung. Auch etwas menschliches, da mache ich mir nichts vor. Ich halte es aber grade deshalb für extrem wichtig, dass wir früh lernen, dass die Menschheitsgeschichte auch immer eine blutige und ungerechte gewesen ist. Ich denke, dass es wichtig ist zu wissen, was in der Vergangenheit passiert ist, denn man kann aus den Fehlern, die schon gemacht wurden, sicher etwas lernen. Vielleicht wäre es auch endlich an der Zeit in den Schulen die Unterrichtsfächer europäische Geschichte und Digitalisierung zu unterrichten. Junge Menschen in Europa sollten sich besser mit der Geschichte des gesamten Kontinents befassen, als nur mit der des eigenen Landes. Schülerinnen und Schüler sollten lernen, dass trotz kultureller Unterschiede etwas einheitliches, etwas gemeinsames entstehen kann. So lernen sie vielleicht auch immer mehr, sich als Europäer zu fühlen und nicht als Deutscher, Spanier oder Franzose. Unsere Geschichte beinhaltet viel Rassismus. Wir sind sicher nicht die einzigen, denen das so geht. Es gibt Rassismus in China, in Afrika und auch sonst vermutlich fast überall auf der Welt. Wir rühmen uns mit der Wissenschaft und mit Menschenrechten, die wir zu verteidigen angeben. Nun. Wenn das so ist sollten wir schleunigst etwas dafür tun, dass sie weiter verteidigt werden, bevor sie noch vergessen. Wir sollten unser Wissen nicht nur für uns Nutzen und uns nicht nur selbst bereichern. Wir sollten jetzt, angesichts des Klimawandels, endlich lernen zu teilen und die Welt nicht immer nur zu zerstören, sondern sie zur Abwechselung auch einmal bereichern. Woran es im Moment am meisten mangelt ist Selbstlosigkeit. Vielleicht sollte die jeder für sich mal wieder trainieren. Etwas für jemanden tun, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Einfach mal machen, nur um mal zu spüren, wie gut das tut.

Das Lager auf Lesbos aus der Ferne. Man kann es kaum sehen, aber man spürt es überall.

Genau darüber habe ich viel nachgedacht unterwegs und das ist das, was ich persönlich ändern möchte. Ich möchte öfter etwas für andere tun, ohne etwas dafür zu erwarten. Ich möchte offener sein für mein Gegenüber und ich möchte mehr erfahren über die Dinge, die die Welt bewegen. Ich weiß welche Dinge und Personen meine Welt jetzt grade bewegen, aber ich möchte nun auch wissen, wie sich die Welten anderer bewegen und wie ich daran Anteil haben kann ohne die Bewegung zu stören oder stoppen. Ich möchte Wissen, wie wir alle zusammen diese Welt bewegen können, ohne das wir dabei runterfallen.

 

1 Kommentar

  1. Helga

    Welch ein großartiges „Statement “ , danke ! Bitte in möglichst vielen Medien veröffentlichen. Wenn Sie mir Ihre Texte per Mail zusenden, kann ich das unterstützen.

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