Mir hat es viele neue Perspektiven geöffnet.

In diesem Buch geht es um die Geschichte des Sklavenhandels, um afrikanisch- amerikanische Familiengeschichten und um die Frage nach der Bedeutung von Herkunft. Da das Buch in Ghana beginnt und Ghana ein Nachbarland Togos mit einer ebenso wechselhaften Kolonialgeschichte ist, dachte ich, dass es vielleicht Sinn macht, das Buch hier nochmal zu empfehlen. Ich habe es vor einigen Jahren gelesen, wo mir die eigene Herkunft vielleicht noch weniger bewusst war, als sie das heute ist. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich erzähle, dass das Buch die Familiengeschichte zweier Schwestern nacherzählt, die mit der Versklavung und Trennung der beiden im 18. Jahrhundert beginnt und mit ihren heutigen Nachfahren endet.

Für mich war es deshalb so ein starkes Buch, weil es selten ist. Es ist selten ein Buch zu haben, geschrieben aus der Sicht der Betroffenen, keine reine Fiktion aus weißer Sicht, sondern eine Beschreibung der Gefühlswelt der anderen Seite. Ich bin katholisch aufgewachsen, in einem kleinen deutschen Dorf. Mir fehlte diese Einsicht. Vielen fehlt diese Einsicht. Manche möchten sie nicht, bräuchten sie aber und andere möchten sie vielleicht, haben aber kaum Berührungspunkte, um sie zu bekommen, was zweifellos eine Folge von Segregation, sozialen Umterschieden und Gentrifizierung ist, die unsere Gesellschaftsstruktur heute immer noch bestimmen. Hautfarbe und Nachname sind immer noch Türöffner oder eben Türschließer, wie man es bei Migranten heute noch oft mitbekommt. Migranten und andere sozial schwächere Gruppen bleiben unter sich. Die Putzfrau hat das Büro bereits verlassen, wenn der Beamte kommt.

Migranten bekommen keine Wohnung, die ein weißer ebenfalls haben möchte, Migranten bekommen keine Arbeit, die ein weißer machen wollen würde. Wie viele Toilettenfrauen sind weiß? Wie viele Müllmänner stammen aus der weißen Mittelschicht? Migranten sind benachteiligt und zwar strukturell und das hat auch historische Gründe, deshalb schreibe ich das hier und ich glaube, deshalb hat Ya Gyasi ihr Buch geschrieben. Das Buch über Sklaverei, Ausgrenzung, Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, Würdelosigkeit, Anfeindungen aller Art bis hin zum Verbrechen, bis hin zum Mord. Das alles ist Rassismus. Rassismus ist in erster Linie eine menschenfeindliche Ideologie, die Menschen nach oberflächlichen Kriterien sortiert und dann darüber entscheiden will, was „lebenswert“ ist. Diese Art zu denken muss schon in ihren Anfängen unterbinden werden sonst setzt sie sich fest. In unserem europäischen Denken hat sie sich über Jahrhunderte festgesetzt und wenn wir uns aufmerksam genug beobachten, können wir es selbst feststellen, aber dafür müssen wir zunächst einmal die wahrnehmen, die es betrifft und ich bin froh, dass sich diesbezüglich langsam etwas ändert. Dieses Buch hat mir beim Umdenken geholfen, vielleicht hilft es euch ja auch.

Ich glaube, man muss zuerst versuchen hinter die Mauern zu schauen, die sich mit der Zeit in den Köpfen aufgetan haben. Man muss noch einmal alles hinterfragen, dann kann man zu verstehen versuchen, was struktureller Rassismus eigentlich ist.