Quer durch die Welt.

Bitte kein Geld für Libyen…

Der Tag begann mit vielen schlechten Gefühlen, die in mir herumgeistern, seit ich diese Insel betreten habe. Neben dem üblichen schlechten Gewissen, auch andere Beklemmungen und ich versuchte durch einen frühen Spaziergang am Wasser und etwas Musik auf den Ohren ein paar davon loszuwerden. Es gelang mir nicht wirklich. Wie so oft, nahm ich die schöne Umgebung nur mit einem halben Auge wahr.

Zum lächeln war mir einfach nicht zu Mute.

Ich streifte die Küste entlang und dachte an Ursulas Erzählungen aus Moria und daran, wie sie fast in Tränen ausgebrochen war, als sie von einer Geste der Dankbarkeit von einem der Kinder hier gesprochen hat, die sie damals in ihrem Auto mitnahm. Ich dachte daran, wie schwer es ist, wenn man eine Überzeugung hat und versucht für diese zu kämpfen, obwohl die Widerstände und Missverständnisse manchmal riesig sind. Ich habe selbst schon oft für etwas einstehen müssen, das nicht auf allgemeine Beliebtheit gestoßen ist. Solche Kämpfe machen einsam. Solche Kämpfe tun weh. Ich habe dann einen Platz gefunden, der etwas beruhigendes hatte. Freier Blick über das blaue Meer.

Keine Frage, heute morgen hatte ich den „Blues“. Kein Wunder bei all den Informationen und Neuigkeiten hier.

Grade, als ich dachte, ja dieser Ort ist gut, ein Platz, um die Gedanken endlich schweifen zu lassen. Grade in dem Moment drehte ich mich zum Hügel hinter mir um und entdeckte zwei Soldaten, es könnten auch mehr gewesen sein, die direkt hinter mir mit einem Feldstecher die Küste absuchten. In einiger Entfernung konnte man das türkische Ufer erkennen. Sie waren hier wahrscheinlich auf einem dauerhaften Posten, getarnt, um Boote zu entdecken, die versuchten von der Türkei aus die Insel zu erreichen. Das kurze Gefühl der Ruhe, das ich hatte war vorbei, ich wollte nur weg von dort.

Ich schaute mir noch die Festung an. Sie diente einem ähnlichen Zweck. Sie schützte die Insel vor Ankömmlingen aus der Türkei.

Anschließend lief ich ziellos über die Insel. Lost, gedankenverloren, traurig. Ich ließ die Gefühle zu, weil sie Raum brauchen, das spürte ich. Hätte ich sie verdrängt, wäre etwas unnatürliches daraus geworden. Sie sind Teil der Erfahrung und brauchen ihren Platz. Das Laufen sorgt oft für Besserung und ich entschied kurz ins Meer zu springen, denn die Hitze ist weiterhin extrem. Lange Strecken auf dieser Insel zu Fuß zurückzulegen ist nicht einfach. Manche müssen das tun, jeden Tag. Ich tat es heute auch, bewusst, freiwillig. Zu Beginn der Krise mussten manchen vom Norden der Insel in den Süden wandern, etwa 65km.

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Fast zynisch diese Statue auf dem Weg ins Camp. Aber wollen wir nicht zu negativ sein. Den Kindern wurde meistens geholfen. Nach dem Brand in Moria blieb die Hilfe allerdings auch für sie 8 Tage aus, um sie alle in das neue Lager zu zwingen.

Ich ging wieder am Camp vorbei in Richtung des nächsten Dorfes, einfach, weil mir nichts besseres einfiel und der Tag aufgrund der Gefühlslage eh schon verloren schien. Direkt gegenüber des Lagers fand ich dann eine Murmel. Ich erinnerte mich sofort an den Film „Hook“ aus meiner Kindheit und den „verlorenen Jungen“ Tootles, der seine Murmeln nicht wiederfand und immer nach „all seinen wunderbaren Gedanken“ suchte. Als Peter Pan sie ihm am Ende des Films zurückbrachte, war der alte man endlich frei, er hatte seine wunderbaren Gedanken zurück. Ich werde diesen verlorengegangenen wunderbaren Gedanken für denjenigen aufheben, der ihn hier auf Levos verloren hat, vielleicht wird er/sie ihn eines Tages suchen.

Einen wunderbaren Gedanken habe ich heute dann doch noch gefunden.

Die Lauferei hat mich heute fertig gemacht und ich war froh mich später etwas im Bett ausruhen zu können und nicht Zelten zu müssen oder ähnliches. Im Haus sagte mir Kathie dann, dass ich morgen ins Camp könne und wir sprachen noch über Moria und darüber, dass die Hölle im Moment vor allem in Libyen lauert. Egal, wie viel Geld Deutschland an Libyen geben wird, nichts davon wird die Geflüchteten erreichen. Die Lager in Libyen sind grauenhaft. Schmutz, Verbrechen und Vergewaltigung sind Alltag dort. Es ist ein Verbrechen das zu unterstützen, nichts anderes. Die Leute hier wissen wovon sie sprechen, viele Geflüchtete waren dort oder kennen Menschen, die dort waren.

Sicher wird man vom deutschen Geld keine Betten kaufen, aber unser Gewissen könnte die Zahlung beruhigen. Wenn wir wegschauen, wie so oft.

 

2 Kommentare

  1. Marga

    Lieber Moriz,
    Ich war im August 3 Wochen in Mytilini und habe bei der NGO MVI als Volunteer mitgeholfen. Ich bin Therapeitin und habe Erstgespräche mit Müttern und Kindern geführt, die zu Beratungen zur Organisation kamen.
    Ich kann Dir mitteilen, dass all das Leid das ich hörte, daß es mich tief bewegte, aber nicht niederdrückte. Ich spürte überall das tief Menschliche und dass wir nicht getrennt sind. Wenn wir das Herz öffnen können, wirklich öffnen, dann sind wir uns – trotz der extrem unterschiedlichen Position – hier Flüchtling, da wir – dann sind wir uns nah. Und das hat es verhindert, dass ich mich niedergeschlagen oder traurig gefühlt hätte. Ich rede jetzt nicht von der politischen Situation – nur vom Wahrnehmen das ich außerordentlich empfunden habe. Du bist den ganzen Weg mit Rad gekommen – wunderbar!

    • Moethemei

      Hey Marga, grade erst deinen Kommentar gesehen! Es war ehrlicherweise leider nicht der ganze sondern nur der halbe 1300km, aber es war genug, um auch einen Eindruck zu bekommen, wie beschwerlich es ist, jeden Tag woanders sein zu müssen und immer auf dem Weg zu sein, Wie es auch viele geflüchtete sind. Sicher aber mit höheren Standarts, was dann eben nur einen Teil wiedergibt, von dem, was sie erleben müssen. Ich bin dankbar für deine Worte. Dieses Gefühl hatte ich im Camp sofort, die Unterscheidung zwischen ihr und wir fällt dort sehr schnell und ich würde mir wünschen, dass so etwas viel öfter passiert. Danke für deinen Kommentar!

      LG

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