Moin,

Kurz mal ein etwas persönlicherer Beitrag bzgl. meines Befindens. Ich möchte gerne noch einmal darauf Aufmerksam machen, dass diese ganze Reise und auch der Versuch das alles mit dem Rad zu bewältigen, nicht einfach irgendein Urlaub waren bzw. sind. Besonders jetzt auf Lesvos, aber auch schon vorher sind die Gefühle oft ambivalent. Ich möchte mir weder zu viel erlauben, noch zu wenig. Ich möchte alles geben, aber zu viel darf es auch nicht sein. Ich möchte entspannen, aber das Ziel möchte ich nicht aus den Augen verlieren. Ich möchte nach Hause, aber ich möchte auch ausführlich berichten. Ich hadere beinahe tgl. damit, wie ich diesen inneren Konflikt auflösen kann. Ich sage das, damit ihr es nachvollziehen könnt, ohne Mitleid erregen zu wollen, das ist das letzte, was ich möchte. Mir ist es einfach wichtig, dass hier alle Aspekte dieses Trips zur Sprache kommen, auch dieser.

Das Meer ist praktisch vor meiner Tür, aber eben auch dieser unsägliche Ort, das „Camp“ genannte Lager, in dem Menschen hausen, ausharren, kämpfen müssen.

Ich versuche diesen Spagat irgendwie über die Bühne zu bekommen und hoffe, das gelingt mir halbwegs gut. Was mir immer bewusster wird, jeden Tag mehr, ist das unwahrscheinliche Glück der persönlichen Freiheit. Frei zu sein im Sinne der eigenen Selbstbestimmung, das Recht zu haben, dorthin zu gehen, wohin man möchte etc. All das ist Glück, nicht mehr. Niemand entscheidet über seine Herkunft, niemand sollte „stolz“ sein auf eine Nationalität, denn das ist in meinen Augen falscher Stolz. Dankbarkeit sollte das Gefühl sein, das uns leitet. Stolz führt schnell zu Überheblichkeit, Dankbarkeit führt zu Hilfsbereitschaft, denn man weiß, dass man manche Dinge nicht allein bewältigen kann. Kurz gesagt, Scheiß auf Nationalismus, der ist wertlos für mich. Gemeinschaft braucht Dankbarkeit und keinen Stolz.

„Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“

Francis Bacon 

Grade als deutscher sollte man wissen, dass dieser Nationalstolz schnell problematisch sein kann. Man kann die Leistungen der Geschichte bewundern, man kann sich auch durchaus in der Tradition dieser Geschichte verstehen, als Teil der Nation, aber das hier und jetzt ist letztlich eben doch losgelöst davon, auch das sollte einem deutschen besonders bewusst sein, denn ansonsten müssten wir uns noch immer in der Tradition des Nationalsozialismus oder des Kommunismus verstehen und mir ist einfach beides fremd. Ich fühle keine Verbindung zu den Gedanken dieser Epochen, ich fühle auch keine Schuld. Ich fühle aber die Verantwortung, dass so etwas nie wieder von deutschem Boden ausgehen sollte. Wir haben beide Extreme erlebt, jetzt können wir schlauer sein, besonnen und bewußt damit umgehen.

Hier steht eine Freiheitsstatue mit Blick Richtung Türkei. Ein gutes Statement und doch auch Provokation. Alles hat zwei Seiten, das darf man nie vergessen.

Ich fühle mich nicht schlecht, wegen der Freiheiten, die ich habe. Ich möchte sie nicht aufgeben. Ich habe aber das Bedürfnis diese Freiheit nicht nur zu genießen, ich möchte sie auch nutzen. Das ist der Grund für diese Reise und das ist der Grund für die Ambivalenz. Es ist schwer sie zu nutzen, um mehr Freiheiten für andere zu schaffen, denn eigentlich beruht unsere Freiheit auf den Grenzen der anderen. Das Bewusstsein dafür ist sogar in vielen Teilen der Bevölkerung da, nur führt es oft zu einem anderen Gedanken. „WIR KÖNNEN JA NICHT ALLE AUFNEHMEN.“ Nein, das können wir definitiv nicht. Ich frage mich nur, ob es überhaupt nötig wäre zu fliehen, wenn wir unseren Lebensstil ändern würden. Wenn wir nicht alles hätten und andere nichts. Die Armut in Griechenland und die damit verbundenen Diskussionen in Deutschland „WIESO SOLLTEN WIR UNSERE STEUERGELDER FÜR DIE FAULEN GRIECHEN VERSCHWENDEN?“ lassen mich stark daran zweifeln, ob den Menschen in ihrer glücklichen Lage in Deutschland klar ist, wie dankbar wir Griechenland sein müssen, dass es dank Dublin 2 so viel der Flüchtlingskrise ALLEINE bewältigt.

https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/griechenland

Deutschland hat, mehr als andere EU-Staaten Verantwortung übernommen, das ist keine Frage, aber Deutschland kann das auch leisten. Dass sich andere in Deutschland abgehängt fühlen, ist nicht die Schuld der Migranten, sondern mangelnde Sozialpolitik seit den Arbeitsmarktreformen der Schröder Regierung. Das ist ganz klar Innenpolitik. Wenn dann aber 16 Jahre weiterhin eine Partei an der Macht ist, die das Ungleichgewicht fördert, ist ein Gefühl der Ungerechtigkeit wohl unvermeidlich. Die deutschen Medien tun ihr übriges diesen Eindruck zu verschärfen und die Entwicklung hat uns letztlich auch die AfD beschert. So zumindest verstehe ich als Laie das ganze, nur eine Meinung, aber ich bin zum Glück frei darin sie zu äußern.