Ich hatte auf meiner Reise das Glück, dass ich vor allem mit einigen der jungen Frauen längere Gespräche führen konnte. Wie schon erwähnt, ist der „Single Man“ Bereich in dem Lager auf Lesvos der Schlimmste. Es ist deshalb schlimm, so erkläre ich es mir jedenfalls, weil Männer, besonders junge Männer, oft sehr getrieben sind, ihre Gefühle kaum kontrollieren können und weil in patriachalen Gesellschaften junge Männer oft stark indokriniert werden. Man sieht es an den Taliban, welche in den Madrassas (den Gebetsschulen) überall im Land schon in frühester Kindheit auf männliche Dominanz getrimmt werden. Ihnen wird, ähnlich wie in Nordkorea, der Hass auf alles westliche eingeimpft und so bleibt kaum ein Weg für eine freie, eigene Meinung.

Die jungen werden getrennt von den Mädchen unterrichtet, wenn diese überhaupt Unterricht erhalten. Die Madrassas in Afghanistan werden auch von Saudi Arabien finanziert.

Zunächst muss man aber klar sagen, dass ich nicht grundsätzlich etwas gegen eine Trennung von jungen und Mädchen habe oder gegen die muslimische Lehre, denn es sind kulturelle Gepflogenheiten, deren Entwicklung lange zurückreicht. Es würde mich wundern, wenn so etwas durch Kritik von außen verschwindet, denn in kaum einem Land ist das so abgelaufen. In Europa mussten um die Jahrhundertwende vor allem in England und Frankreich zunächst viele Frauen inhaftiert und gefoltert werden, ehe sie ihre Rechte durchsetzen konnten. Sie haben für sich selbst gekämpft und das ist die einzige Chance, wie starre Systeme letztlich gestürzt werden können. Aus sich selbst heraus. In Afghanistan wird es noch dauern, denn sonst wäre die Machtübernahme der Taliban kaum möglich gewesen. Sie haben noch Unterstützung, besonders im ländlichen Raum. Traurig, aber wahr.

Die Menschen, die fliehen, haben oft nicht die Möglichkeiten, die wir haben, um vor Ort etwas zu verändern.

Die Frauen, die ich kennengelernt habe, waren sehr unterschiedlich. Ich weiß nicht, ob man das erwähnen muss, aber ich denke oft, dass man sich ein falsches Bild macht, wenn man über „die Frauen“ spricht. Es gibt auch unter den Frauen in Ländern wie Afghanistan sehr große Unterschiede. Vielleicht verhüllen sie sich und sehen deshalb ähnlich aus, aber sie haben doch ihren eigenen Kopf. Ich habe mit einer jungen Frau über den Islam gesprochen. Ich habe schon davon berichtet. Ihre Einstellung hat mich deshalb so sehr fasziniert, weil sie sie erworben hat ohne, dass ihre Familie sie dabei unterstützt hätte, im Gegenteil. Sie hatte das Gefühl nicht frei zu sein und hat dann für ihre Freiheit gekämpft. Fliehen bedeutet kämpfen. Im Falle einer Frau wahrscheinlich noch mehr, als bei einem Mann. Soraya z.B. ist allein auf die Reise gegangen. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn sie nicht die Möglichkeit bekommen hätte eine Schule zu besuchen und dort Englisch zu lernen. Ohne diese Vorbildung hätte sie nicht Übersetzerin werden können und hätte im Lager vermutlich eine sehr viel schwerere Zeit gehabt. Sie hofft auf ein freies Leben und sollte die Möglichkeit dazu auch bekommen. Sie hat davon geträumt und dieser Traum könnte wahr werden, wer würde nicht alles tun, um seine Träume wahrzumachen?

Frauen aus Afghanistan (Photo by JAVED TANVEER / AFP)

Das Leben im Lager in Moria hat Spuren bei den Frauen hinterlassen. „At night we were espacially afraid of the „singers“ erzählte mit eine der Frauen. In dem 17.000 Menschen umfassenden Lager gab es kaum Ruhe und besonders die Nächte waren oft laut und grauenhaft. In den Wintermonaten froren die Menschen bis auf die Knochen. Latifa bedauert, dass sie jetzt nicht mehr weiß, wie es sich genau angefühlt hat so zu frieren, denn bei ihrem Interview für den Asylantrag, will man genau so etwas hören. Man will das gelitten wurde, am besten so schlimm wie möglich. Die Frauen konnten im Lager nur in Gruppen auf die Toilette gehen und besondere Angst hatten sie, wie gesagt, vor den „Sängern“. Die „Sänger“ waren betrunkene Männer, die sich prügelten, andere beschimpfen oder eben Frauen nachstellten, die den Fehler machten nachts allein unterwegs zu sein. Latifa sagte, dass sie nachts bei Regen besonders gut schlafen konnte oder auch wenn die Ratten ihre üblichen trippelnden Geräusche machten, dass sei so ähnlich gewesen. Menschen gewöhnen sich an alles. Als ich sie gefragt habe, ob sie sich nicht bedroht gefühlt habe, sagte sie anfangs nicht, weil sie dachte „Europe is safe. I shouldnt be afraid.“ Diese Sicherheit hielt aber nicht lange an. Spätestens nach einer Kohlenmonoxidvergiftung, die um ein Haar sie und ihre ganze Familie getötet hatte, war ihr klar, dass es auch in Europa gefährlich sein kann Geflüchtete zu sein. Eines Nachts wurde sie wach, weil im Nebenzelt Tumult herrschte. „Someone was screaming. I will drink your blood!“ Zwei Männer rangelten auf dem Boden. Sie erfuhr später, dass der eine den anderen hatte im Schlaf erwürgen wollen. Zum Glück spielten sich solche Dramen meist nur in der Nachbarschaft anb und Latifa blieb meist verschont. Sie hat vor allem Glück gehabt und ich hoffe, dass sie weiterhin Glück hat. Beide, Soraya und Latifa, verdienen es glücklich zu sein, beide sind gute Menschen. Ich werde Kontakt zu ihnen halten und hoffe, dass ich ab jetzt keine Horrorgeschichten mehr von ihnen hören muss.

Solche oder so ähnlich Geschichten gibt es hundertfach zu erzählen. Trotzdem hören wir sie selten, weil wir immer allgemein von „Flüchtlingen“ sprechen und so die Einzelschicksal oft verborgen bleiben.

Ich hoffe, dass ich ein paar von den Geschichten erzählen kann. In diesem Sinne bis demnächst.

Liebe Grüße

Mo