Das Jahr 2021 ist vorbei.

Ich bin gespannt auf 2022. Heute möchte ich noch einmal zurückblicken und auch versuchen einen kleinen Blick in die Zukunft zu werfen, die ich mir für das Jahr 2022 wünschen würde. 2021 war verrückt. Das ist zumindest das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich über das vergangene Jahr nachdenke. Der Beginn des Jahres war geprägt von einem Lockdown, Impfungen und von sehr schlechtem Wetter. Außerdem waren wir alle noch irgendwie traumatisiert von vier Jahren Donald Trump und dem Sturm auf das Capitol. Diese vier Jahre haben die Welt aufgeladen, so habe ich das zumindest empfunden. Sie haben sie scharf gemacht.


Ich erinnere mich gut, dass kurz vor Weihnachten 2020 der 2. Lockdown begann und dass die Angst vor Corona in der Bevölkerung riesengroß war. Bei mir war die persönliche Angst, ehrlich gesagt, nie besonders groß, da ich aus der Pflege die Arbeit mit schweren Erkrankungen gewohnt bin und eine gewisse Gelassenheit entwickelt habe, die aber nichts mit Leichtsinn zu tun hat. Ich achte auf Hygiene. Seit Corona auch mehr auf Nasen- und Mundhygiene.


Man kann immer versuchen sein Bestes zu geben, um sich nicht zu infizieren, mehr kann man nicht tun, sollte einen eine schwere Erkrankung dennoch treffen, dann muss man das akzeptieren und sich dann damit auseinandersetzen. Das im Vorfeld zu tun ist nicht unbedingt ratsam. Ich habe deshalb im Dezember auch noch schwer mit mir zu kämpfen gehabt, mich hat die allgemeine Furcht nicht ergriffen, ich hatte und habe noch immer keine Panik. Panik macht meistens alles nur schlimmer. Trotzdem hat mich das alles natürlich nicht kalt gelassen, wie sollte es auch?
Statt der Angst hat sich in mir mit der Zeit eine extreme Wut entwickelt. Es war aber weder Wut auf irgendwelche Coronaleugner noch auf irgendwelche anderen real existierenden Personen. Es war viel mehr eine große Wut auf die Art des allgemeinen Umgangs miteinander. Wie kann das sein, dachte ich? Wie können Menschen wegen einer Krankheit plötzlich so aufeinander losgehen? Wie kann es sein, dass diese verdammte Krankheit bei der Letalität zu so einschneidenden Veränderungen führt? Ich war wütend auf die Politik, die natürlich nie das tut, was man persönlich erwartet. Stichwort: Resilienz. Ich war wütend wegen der Maßnahmen, die mich gefühlt erstmal extrem eingeschränkt haben. Ich hatte das Gefühl, dass meine Depressionen zurückkommen könnten. Ein bisschen kamen sie sogar zurück. Ich war einfach angespannt, unsicher und hatte das Gefühl, dass es schwer wäre die Kontrolle zu behalten.

So kam dann doch die Angst.

Sehr diffuse Angst. Angst vor dem Verrücktwerden. Angst vor dem Alleinsein. Angst davor meine Familie könnte erkranken, besonders meine Eltern. Angst, dass die beiden sich bei MIR anstecken könnten. Ich arbeite nun einmal in einer Kindernotaufnahme, da war diese Angst nicht unbegründet. Es war der Horror. Es war Angst vor allem was kommt. Ich denke, dass so eine Angst eine neue Erfahrung für viele westliche Gemüter ist.
Die Angst ist aber auch das große Problem für Menschen, die trotz des Lockdowns notgedrungen ständig Kontakt zu möglicherweise Infizierten haben. Beruflich bedingt. Zu der Zeit war es so, dass vor Weihnachten jeder noch einen Test machen wollte, um so sicher zu seiner Familie fahren zu können. Ich hatte noch am 22.12. Dienst im Krankenhaus und habe dann deshalb entschieden Weihnachten NICHT zu meinen Eltern zu fahren, denn die Impfung war gerade erst auf dem Weg und ich war nicht einmal sicher, ob ich sie wollte, das sage ich hier auch ganz ehrlich. Also kein Risiko eingehen und verzichten war meine Devise.
Zum Thema Impfung muss ich sagen, mein Vertrauen in Politik und Pharmaindustrie ist wirklich nicht besonders groß gewesen vor der Pandemie. Ich habe auch nie eine Influenza Impfung haben wollen, da ich nicht der Meinung bin, dass diese Erkrankung für einen jungen gesunden Menschen so extrem gefährlich ist. Ich dachte nicht, dass ich mich dagegen vor meinem 50. Lebensjahr immunisieren müsste.
Ich hatte schon eine heftige Grippe und ich habe sie innerhalb einer Woche überstanden, wenn es auch eine heftige Woche war, in der ich sitzend schlafen musste, bis zu 40 Grad Fieber hatte und mich kaum aus dem Bett bewegen konnte. Ich war einfach richtig krank. So in etwa habe ich mir dann auch die COVID- Erkrankung vorgestellt. Wie sie sich wirklich äußert, habe ich bisher nicht erleben müssen, zumindest nicht, dass ich wüsste.
Trotzdem habe ich mich Ende 2020 dafür entschieden die Impfung machen zu wollen.


Das hatte natürlich auch mit der oben beschriebenen Angst, um meine Familie zu tun und damit, dass ich die Reisefreiheit behalten wollte. Aber es hatte auch mit rationalem Denken und Verantwortungsbewusstsein zu tun. Ich habe schon einige Bücher und Filme über Pandemien gelesen bzw. gesehen und bin der Meinung, dass es das wichtigste ist, dass alle versuchen, alles was möglich ist zu tun. Die Frage hier ist leider, was ist möglich? Damit meine ich, was ist mit dieser Bevölkerung möglich? Denn letztlich bedeutet Demokratie, dass Veränderungen unter Umständen dauern. Diese Zeit haben wir nie gehabt.
Erstaunlicherweise hatten wir das Glück, dass der Impfstoff gegen diesen Virustyp, vermutlich aufgrund der Erfahrung mit SARS 1., bereits in der Entwicklung war. So konnte er schnell zum Einsatz kommen. Dieser Prozess war und ist wahrscheinlich aber auch der Grund für die große Skepsis von Menschen, die eigentlich weder rechtes Gedankengut teilen noch irgendeine andere Verschwörungstheorie.
Es war eine Hauruck Zulassung, wie sie die Welt so noch nicht gesehen hat und eine Erfolgsgeschichte einzelner unternehmen, wie sie selten geschrieben wurde. Die Stadt Mainz, wo das Unternehmen Biontech „An der Goldgrube“ residiert, ist heute schuldenfrei. Passend dazu überlegt man die Firmengründer künftig auf Eurobanknoten zu verewigen,
Die als verhältnismäßig angesehenen Maßnahmen, wie Maske tragen oder Kontaktbeschränkungen, haben den Menschen in den letzten Jahren einiges abverlangt. Ich höre oft, das sei doch nicht schlimm, kein Problem, eine Kleinigkeit. Im Verhältnis zum Krankheitsverlauf mag das sicher stimmen, aber eine Kleinigkeit im Allgemeinen ist das alles natürlich nicht. Es sind einschneidende Veränderung in viele Leben getreten. Über 23% der deutschen Haushalte sind Singles.
Ich kann aus Erfahrung sagen, dass die Zeit während des Lockdowns eine sehr schwere Zeit für Singles gewesen ist. Freunde zu treffen oder Unternehmungen zu machen ist ein wichtiger Bestandteil eines gesunden Soziallebens besonders dann, wenn man abends in eine leere Wohnung zurückkommt. Während des Lockdowns war die ansonsten leere Wohnung aber der einzige sichere Aufenthaltsort. Dort war man dann alleine mit seinen Gedanken und natürlich kreisten diese auch oft um das Thema Corona. Dass das einige hat verrückt werden lassen, überrascht mich wenig.
Diese Wut und Angst, die den Jahresbeginn geprägt haben, haben mich dann aber endgültig davon überzeugt, dass ich im Jahr 2021 ein größeres Projekt in Angriff nehmen müsste. Sicher war es auch das Gefühl, vielleicht nicht mehr so schnell alle Möglichkeiten zu reisen zu haben, wie ich sie zurzeit noch genießen kann. Ich beschloss mit Fahrrad nach Lesbos zu radeln und mir anzuschauen, wovon niemand mehr sprach. Das Flüchtlingslager und die Situation vor Ort. Ich wollte wissen, wie es nach dem Brand in Moria, dem damals größten Lager der EU, weitergegangen war.

Mir war klar, dass ich in dem kommenden Jahr etwas tun müsste, das mit dem Thema Flucht verbunden war.

Schon seit ich das erste Mal von dem überfüllten Lager auf Lesbos gehört hatte, hat mich dieser Ort umgetrieben. Mitten in Europa leistet man sich einen Ort, der logistisch und finanziell so schlecht dasteht, dass man ernsthaft zweifeln muss, ob überhaupt ein wirklicher Wille vorhanden ist, sich an die eigenen Regeln halten zu wollen. Für mich war immer klar, dass Menschenrechte in der Realität oft Auslegungssache sind, aber von der EU hätte ich mehr Bemühungen erwartet diesem Ideal gerecht zu werden.
Mein persönlicher „Weltschmerz“, meine „German Angst“ ist manchmal sehr stark ausgeprägt. Mich lässt es nicht kalt, wenn ich Meldungen über Unterdrückung lese oder mitbekomme, wie unschuldige gefoltert werden. Ich denke, dass wir hier, gerade weil wir viele Möglichkeiten haben etwas zu bewegen, diese Möglichkeiten auch mehr nutzen sollten. Jeder einzelne sollte das tun. Corona hat zwar vor allem schlechtes mit sich gebracht, aber es gibt auch positives.
Ich glaube, dass uns der Lockdown vor Augen geführt hat, wie kurzlebig Wohlstand sein kann. Er kann von einem auf den nächsten Tag vorbei sein. Die Angst davor zeigt sich in dem Wahnsinn des Klopapier Hamsterns, der zu Anfang der Pandemie so beliebt gewesen ist. Wir verzichten auf übertriebenes Feiern und Feuerwerk zu Silvester, Weihnachten ist deutlich familiärer. Wir sollten aus diesen Veränderungen das Positive mitnehmen. Nämlich das Wissen, dass wir auch mit viel weniger auskommen können. Glück ist nicht abhängig davon, was wir besitzen, sondern davon, dass wir es mit jemandem teilen können. Oder eben davon, dass uns jemand auffängt, wenn wir fallen.

Da ich mein Glück Anfang des Jahres weder gefunden hatte, noch teilen konnte, hatte ich erstmal zu tun. Ich habe nachdem mir klar geworden ist, wohin die Reise geht, sofort einen Plan gemacht. Ich dachte, dass ich vieles leider erst kurz vorher machen könnte, aber im Endeffekt waren es ungefähr 3 Monate intensive Vorbereitung. Ich musste Dinge kaufen und vor allem musste ich viel Sport machen.

Als es dann losging, war meine Motivation gleich Null und ich war krank, leicht erkältet. Es war zum kotzen. Trotzdem ging es los, da gab es jetzt nichts mehr dran zu rütteln. Das Wetter war schlecht und meine Laune war nur bedingt gut. Es war gut, dass ich Leute hatten, die mich begleitet haben und dass ich Ursula noch getroffen habe, die mir bereits von Lesbos erzählen konnte. So wuchs die Motivation mit jedem überstandenen Tag der Reise um ein vielfaches.

Die Sache mit der Website gestaltete sich erstmal schwierig, aber mit der Zeit wurde es besser. Ich hatte endlich auch einmal Zeit einfach nur zu fahren und zu genießen. Das Wetter war zwar wechselhaft, aber es war nicht kalt und die Fahrten waren angenehm und wenig aufregend. Die Leute im Rheinland waren sehr nett. Es war ein guter Start. Körperlich wurde es immer besser und an Spannung mangelte es eigentlich nie. Abends war ich immer totmüde.

Die Schlößer, Burgen und Türme im Rheinland waren wirklich schön. Das Wetter dort leider nicht.

Das ging so bis ich nach Stuttgart kam, also etwa 370km lang sportliche Herausforderung, Zelten und mit sich alleine sein. Eigentlich habe ich mich nie allein gefühlt. Es war zu der Zeit eher noch ein Gefühl der Flucht aus der Hektik der Großstadt. Ich konnte nicht genug alleine sein. Das änderte sich in Stuttgart.

In Stuttgart traf ich dann Freunde, die ein paar Tage mit mir gezeltet haben und dann traf ich noch einen Mann. Ich habe das Gefühl Stuttgart war der erste von vielen Wendepunkten, die die ganze Reise zu etwas ganz besonderem gemacht haben. Dort hatten wir schöne Tage auf Campingplätzen und ich werde die Zeit nie vergessen. Es war die erste Magie eines in Deutschland eher weniger zauberhaften Sommers. Mein Sommer war so voll Magie und Kraft, wie selten ein Sommer davor.

Nach Stuttgart folgte Bayern, was mich in jeder Hinsicht an meine Grenzen geführt hat. Ich dachte, wenn ich es hier raus schaffe, schaffe ich es auch bis nach Griechenland. Die strengen Coronaregeln, die Berge und die bayrischen Gepflogenheiten waren nicht immer mein Geschmack. Die Landschaft war allerdings so schön wie sonst nirgendwo in Deutschland und manche Gespräche von dort werde ich auch nie vergessen. Die Seen und das Essen waren auch top, mal abgesehen von der 12 Euro tiefkühlpizza auf dem Campingplatz an der Autobahn.

Die Berge und Salzburg und danach Italien, waren so kompliziert, wie sie faszinierend waren. Es war nicht immer leicht zu navigieren und es hat manchmal viel Überwindung gekostet auf vielbefahrenen Straßen zu fahren, aber wenn man es geschafft hatte, fühlte man sich großartig. Ich habe mich in dieser Zeit oft großartig gefühlt. Mir hat nichts gefehlt.

Die Tausend Kilometer waren dann der nächste Wendepunkt. Triest hat mich umgehauen, weil es mindestens so schön wie Venedig ist und weil dort etwas in der Luft lag. Es lag etwas entspanntes in der Luft. Offenheit. Triest strahlt etwas herzliches aus und deshalb war es der Perfekte Ort für die 1000km und dafür endlich das Meer erreicht zu haben. Auch hier hatte ich wieder Begegnungen und Gespräche, die im Herzen bleiben.

Slowenien und Kroatien waren schwierig. Kulturell hatte sich hier etwas verändert, was natürlich zunächst erstmal eine Herausforderung ist. Slowenien war wunderschön, weitläufig und ruhig. Kroatien war aufregender, lauter, aber für mich das schönste Land der Reise. Die Strände dort waren traumhaft und die Menschen waren immer hilfsbereit und oft witzig. Kroatien hat mich ein wenig ergriffen, weil es letztlich vor allem pragmatisch ist und trotzdem nicht ohne Gefühl.

Kroatien war leider auch mein letzter stopp. Der dauernde Druck vom Sattel forderte seinen Tribut, also ging es mit dem Flugzeug nach Wien und dann nach Thessaloniki und dann mit der Fähre nach Lesbos weiter, wo ich ein Zimmer in einem Haus für Übersetzer im Lager bekam.

Das war der krasseste Wendepunkt. Erst die Reise von Thessaloniki, das grade große Demonstrationen gegen Corona erlebte, hin nach Lesbos und dann der Aufprall in der Realität eines Flüchtlingslagers, das das Gegenteil der Freiheit darstellt, die ich auf meiner Fahrt zuvor genossen hatte. Ich war auf einer Insel vor der türkischen Küste mit den Einwohnern, einigen Touristen, viel Millitär und etwa 4000 geflüchteten aus aller Welt, sowie zahlreichen Hilfsorganisationen.

Zum Glück hatte ich schon vorher Kontakt zu Ursula und Katie, die mich auf der Insel dann über viele Dinge aufgeklärt haben. Mir war im Vorfeld klar gewesen, dass ich ein neues Bild der unerträglichen Situation bekommen würde, aber die Realität ist dann doch noch einmal anders, als das, was ich erwartet hatte. Moria war lange abgebrannt, die Dramatik war nicht mehr akut. Es gab für mich keine grauenhaften Bilder, eher sogar versöhnliche. Was wirklich schwer wiegt, ist das Unterschwellige, das Schwelende.

Moria mag in der Realität Geschichte sein, in den Köpfen derer, die da waren ist es noch immer sehr real. Moria ist ein Trauma, dass sowohl die gesamte Insel Lesbos, Griechenland, aber auch die EU und vor allen anderen die Geflüchteten nachhaltig beschädigt hat. Wo so etwas möglich ist, ist auch noch schlimmeres möglich. Berichte von Menschen die von der Polizei gefesselt ins Meer geschmissen werden oder von Booten, die man bewusst kentern lässt, sind für mich daher keine Märchen, sondern sehr wahrscheinlich war. Diejenigen, die das tun, werden auch von unseren Steuergeldern finanziert, das passiert in unserem Namen, aber ohne unsere Zustimmung. Es sei denn, das große Schweigen ist als Zustimmung gemeint und verstanden worden?!

In Zukunft kann ich das so jedenfalls nicht mehr mittragen, ohne eindeutig zu zeigen, dass das nicht meine Politik, nicht mein Europa ist, dass jungen Menschen so viel Leid antut, ohne sich wirklich zu bemühen, diesen Menschen eine Chance zu geben, die sie auch in unserem Sinne nutzen könnten. Die sie auch nutzen könnten, um auf lange Sicht die Orte zu verändern, aus denen sie haben fliehen müssen. Menschen brauchen Chancen und Menschen in Not brauchen Hilfe. Ich sehe es als meinen Auftrag an, dabei zu helfen, Menschen eine Chance zu geben. Deshalb werde ich versuchen Ende des Jahres für NGO in Griechenland zu arbeiten. Ich will versuchen zu helfen, wo ich kann, weil es mir hilft mit dem Unrecht, dass fälschlicherweise in meinem Namen geschieht, besser umzugehen.

Wie genau es weiter geht, werde ich euch hier mitteilen. Verfolgt das ganze gerne, vielleicht ergibt sich ja eine Möglichkeit für euch, auch etwas zu tun. Spenden könnt ihr natürlich noch immer, das würde sicher helfen.

Liebe Grüße, bis bald und…

Frohes Neues!

Mo